Samstag, 12. Mai 2012

Schreibwerkstatt II

Flusslandschaft, Serie 2009'

 Because the night belongs to us

  
Sie musste verrückt geworden sein. Sie war sich zwar über die unheilbringenden Auswirkungen von Alkohol im Klaren, aber so etwas war ihr noch nicht passiert. Um es kurz zu fassen: sie befand sich in einem fremden Bett, neben einem fremden jungen Mann, im Ausland. Sie hob vorsichtig die Bettdecke an, um sich erneut zu vergewissern. Denn nur fürs Protokoll, sie war auch splitterfasernackt. Sie versuchte in der Dunkelheit, die Umrisse des neben ihr liegenden jungen Mannes zu erkennen, der friedlich schlief. Langsam kamen kleine Gedankenbuchstücke zurück in ihr Gedächtnis. Vor wenigen Stunden war sie am Flughafen in Dublin gelandet, um ihrer lieben Freundin Fiona am Wochenende einen Besuch abzustatten.
 Die Wiedersehensfreude war groß und nachdem das Gepäck sicher verstaut war, erkundeten die beiden Freundinnen die Innenstadt von Dublin. Nach dem obligatorischen Sightseeing und Souvenirshopping fuhren sie zurück in den kleinen Vorort, in dem Fiona mit anderen Praktikanten ein wunderschönes uriges Cottage bewohnte. Fiona machte ein einjähriges Praktikum in einem großen Hotel in der Nähe. Die beiden Freundinnen hatten sich lange nicht mehr gesehen, beim Austausch von Neuigkeiten wurde der gemeinsame Lieblingslikör Baileys getrunken. Im Nuh war die Flasche leer. Sie erinnerte sich nur daran, dass sie aus Mangel an Alternativen auf das heimische Nationalgetränk Whiskey umgestiegen waren, was dem Genuss aber keinerlei Abbruch trat. Danach sind die Erinnerungen eher schwammig und lückenhaft. Ein Club, viele von Fionas Freunden und eine Tanzfläche. Alles drehte sich, was auch mit dem exzessiven Tanzen zu tun hatte. Irgendwann wurde ihr ein Freund vorgestellt, Dylan, ein waschechter Waliser. Er hatte wahnsinnig tolle grüne Augen und gefiel ihr auf Anhieb. Danach ging alles ganz schnell: gemeinsames tanzen- erste Küsse auf der Tanzfläche. Er presst sie gegen die Wand, in einer Ecke des Raumes, sie spürt das Kratzen seines Drei-Tage-Bartes auf ihrer Haut. Aufkeimende Erregung. Er küsst anders, härter und mit weniger Zunge. Nicht schlecht, einfach nur anders.
Plötzlich ging das Licht an. Drei Uhr- Sperrstunde auf der Insel. Völlige Irritation bei ihr. Was war los? Wo war Fiona?

Sie suchte sie und erfuhr von ihren Freunden, dass Fiona irgendwo draußen sei, weil sie einen Streit mit ihrem Freund haben. Verzweifelte Versuche Katja anzurufen schlugen fehl. Der Akku ihres Handys war schon fast leer. Einige der Mitbewohner machten sich auf den Heimweg. Sie bestand darauf auf ihre Freundin zu warten. Ehrenkodex unter Freundinnen, man ließ die andere nicht alleine, vor allem nicht, wenn man wie sie keinen blassen Schimmer hat, wo man sich befand. Und irgendwie und irgendwann war sie hier bei Dylan gelandet.

Das Paradoxe an der Situation war, dass sie sich, trotz der äußerst merkwürdigen Umstände wirklich wohl fühlte. Sie wollte nochmal versuchen ihre Freundin anzurufen. Fiona würde sich bestimmt Sorgen machen. Nachher informierte sie noch die irische Polizei und vielleicht würde sogar Scotland Yard nach ihr suchen. Ein absurder Gedanke! Sie kicherte leise in sich hinein. Löste sich vorsichtig aus seiner Umarmung, um ihn nicht zu wecken. Wo waren ihre Klamotten? Dezent beschämt suchte sie ihre Unterwäsche und ihr Kleid zusammen. Was nun?
Wo war ihr Handy? Sie erinnerte sich, dass sie zuerst im Wohnzimmer auf der Couch hemmungslos geknutscht hatten, bevor sie schließlich den Protest, ich bin kein Mädchen für eine Nacht, auf gab und sich dann, von der Lust getrieben in das Schlafzimmer begeben hatten.
Nun schlich sie auf Zehenspitzen leise zu der Tür, und zog sie vorsichtig  hinter sich zu. Sie befand sich in einem dunklen Flur, von dem jede Menge Türen abzugehen schienen. Nach einer typischen Studentenwohnung sah das nicht aus. Sie hatte keine Ahnung mehr, wo das Wohnzimmer sein könnte. Sie musste einfach ihr Glück versuchen. Er hatte irgendetwas von einem Mitbewohner erzählt, dass würde die vielen Türen erklären. Sie würde sich einfach systematisch vorarbeiten. Am besten fing sie mit der nächst gelegenen Tür zur ihrer Linken an. Ihr Herz klopfte, als sie vorsichtig die Türklinke herunter drückte. Hoffentlich war das nicht das Zimmer seines Mitbewohners. Nachher würde sie noch für eine Einbrecherin gehalten. In Gedanken überlegte sie sich schon mögliche Lösungsansätze in englischer Sprache, um erklären zu können, dass sie keinerlei kriminelle Ansichten verfolge. Der Raum war in vollkommene Dunkelheit getaucht, aber der marmoriere Boden schimmerte. Badezimmer vermutlich, dachte sie und tastete nach einem Lichtschalter. Das aufflackernde Licht blendete sie für den ersten Moment, sodass nichts sehen konnte. Bunte Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen. Aber dann staunte sie nicht schlecht, über die elegante und luxuriöse Ausstattung des Bades. Immerhin schien sie auch in einem benebelten Zustand ein Händchen für Typen mit schönen Wohnungen zu haben, dachte sie sich. Der Blick in den riesigen Spiegel war dann eher ernüchternd. So sah man eben nach einer durchfeierten Nacht aus. Ihre ehemals hochgesteckten Haare, standen in alle Richtungen ab, ihre Locken hatten sich, wie so oft durchgesetzt. Von einer Frisur war nicht mehr viel zu erkennen. Der Mascara war verschmiert und auf ihrem Hals ließ sich ein Knutschfleck ausmachen. Sie stöberte ein wenig im Bad und versuchte ihr Äußeres ein wenig herzurichten, aber in einem reinen Männerhaushalt ließen sich kaum Kosmetikutensilien finden. Sie befeuchtete ihr Gesicht mit ein wenig Wasser, die kühle Nässe auf ihrer Haut belebte ihren Geist. Schließlich fand sie das Wohnzimmer in dieser sehr edlen und puristisch eingerichteten Wohnung, wirklich stilvoll, aber auch ein wenig kühl für ihren Geschmack. Neben dem Esstisch fand sie ihre Strickjacke, wohingegen sein Hemd auf dem Sofa lag. Es war wirklich leidenschaftlich zugegangen. Sie setzte sich auf das Sofa und bemerkte ein Lichtreflex halb unter dem Wohnzimmertisch, ihre Abendtasche, samt Kette und daneben ihr Handy. Ihre Chance einen Kontakt zur Außenwelt und zu ihrer Freundin aufzunehmen. Hoffentlich reichte der Akku noch. Das Akku-Zeichen blinkte schon alarmierend rot auf. Es blieb ihr lediglich Zeit, die Handynummer von Katja herauszusuchen, bevor das Display sich verdunkelte. Von seinem Telefon versuchte sie Fiona zu erreichen. Nach wenigen Freizeichengeräuschen schaltete sich die Mobilbox an. „Ach so ein Mist. Sprechen Sie nach dem Signalton…..ähm Hey ich bin es, ich bin bei Dylan, frag nicht wie ich hier hingekommen bin,… und also eigentlich hab ich keine Ahnung wo ich bin. Mein Akku hat den Geist aufgegeben und ich bin nur über ihn seinen Festnetzanschluss zu erreichen. Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut. Melde dich bitte.“
Mehr konnte sie für den Moment nicht tun. Sie nahm eine der Decken und kuschelte sich in einen Ledersessel, der direkt an einem Bodenlangen Fenster stand. Sie zog ihre Beine an ihre Körper und umschlang sie mit ihrem Armen. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer gleiten, alles wirkte ordentlich und durchgestylt. Nichts gab ihr einen Hinweis auf die Persönlichkeit von Dylan, da waren keine Fotos, Bilder oder Bücher. In einer Ecke stapelten sich ein paar Kisten und daneben standen einige Werkzeuge. Sie wusste nichts über ihn, denn zum Reden waren sie bisher nicht gekommen. Wollte sie denn überhaupt mehr über ihn erfahren? Oder sollte sie es bei dem belassen was es war, ein flüchtiges Abenteuer. Sie war der festen Überzeugung, dass man manchen Dingen nicht mehr Bedeutung zu messen sollte als nötig. Die Wahrscheinlichkeit das Dylan der Mann ihres Lebens und vielleicht der zukünftige Vater ihrer Kinder sein würde, tendierte gegen null. Dennoch war es eine Nacht die sie niemals vergessen würde. Durch den Spalt der Jalousien fiel das Licht einer Straßenlaterne. Niemand war auf der Straße zu sehen, kein Licht leuchtete in den Fenstern der Häuser. Alles war dunkel, nur die Straßenlaternen warfen Licht auf die Straße. Ein Blick auf die Anzeige der Stereoanlage, verriet ihr, dass es schon 5:30 war. Sie wog die verschiedenen Handlungsoptionen ab, die sie nun hatte. Sie hatte keinen Schimmer, wo sie war und auch nicht wie die Straße hieß, in dem das Cottage lag. Ein Taxi zu rufen, fiel daher aus, zudem hatte sie keine Ahnung, wie die Nummer der Taxi Hotline in Irland lautete. Sich zu Fuß, im November bei kalten Temperaturen und beständigen Nieselregen, in einer völlig unbekannten Stadt auf den Weg ins Nirgendwo zu machen, erschien ihr auch keine gute Ideen. Sie saß hier fest. Sie musste schon wieder lachen. Das würde ihr Zuhause, niemand glauben. Sie, die Brave, Vorsichtige und Zuverlässige hatte einen One-Night-Stand unter außergewöhnlichen Umständen in Dublin gehabt. Darüber hinaus fühlte es sich alles andere als falsch an. Sie war jung, ungebunden und was sich so gut anfühlte konnte nicht falsch sein. Sie beschloss dorthin zurück zu kehren wo es warm und gemütlich war, und zwar zurück zu ihm ins Bett. Das Telefon nahm sie vorsichtshalber wieder mit. Sie zog ihr Kleid wieder aus und stieg ins Bett. Er drehte sich verschlafen um und murmelte: „hey darling, where have you been?“ und legte den Arm um sie und zog sie an sich heran. Sie blieb ihm die Antwort schuldig und kuschelte sich in seine Arme.
Das Geräusch des Telefons weckte sie aus dem Schlaf. Dylan berührte ihren Arm: „hey it`s for you, ..Fiona“ und drückte ihr das Telefon in die Hand und blickte sie erwartungsvolle an:“ Is everything alright?“ Sie nickte nur und nahm den Hörer. „Ich bin es Fiona. Ich hab jetzt erst seine neue Adresse herausgefunden und bin in 10 Minuten da und hole dich ab. Geht es dir gut? Ja bei mir ist alles ok“, flüsterte sie. Er hatte sich schon wieder auf die Seite gelegt und war eingeschlafen. Ihn schien nicht erschüttern zu können. Sie stieg erneut aus dem Bett und suchte ihre sieben Sachen zusammen. Sie schlich zurück in das Wohnzimmer und wartete am Fenster  bis sie den kleinen silbernen Golf von Fiona ankommen sah. Sie nahm ihre Handtasche und steuerte auf die Haustüre zu und zögerte. Sie konnte nicht einfach verschwinden ohne Lebwohl zu sagen. Sie ging noch einmal leise in das Schlafzimmer und setzte sich auf die Bettkante. „Dylan“ sie berührte ihn vorsichtig an der Schulter: „ I go, Fiona is there and picks me! Goodbye …it was nice to meet you….I wish you all the best.” Er richtete sich halb auf : „you leave“, fragte er und schaute sie an. Sie nickte und lächelte. „Ok“ , sagte er und zog ihren Kopf zu sich, um sie zu küssen. „You know, that you can stay if you want to”, bot er ihr an. “Thanks but its time for me to go“. „ No, no”, widersprach er und zog sie zurück ins Bett, sie entzog sich lachend seinem Griff. Küsste ihn zum Abschied und verließ den Raum. Puh dachte sie, als sie die Tür hinter sich schloss, was für eine skurrile Situation. Im Auto angekommen fielen sich die Freundinnen. Das war eine Nacht. Erst die eine verschwunden und dann die andere. Sie lachten. Sie warf noch einen letzten Blick zurück. Sie war nicht sicher, aber sie glaubte ihn am Fenster stehen zu sehen, ihr nachblickend.

1 Kommentar:

  1. Danke für den lieben Kommentar, hab ich mich sehr darüber gefreut :)
    Hab gerade die Geschichte gelesen, gefällt mir :)

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